Gedanken zum Level 70 im "Spiel des Lebens".
Allgemein wird dieses Computerspiel als
Geschenk bezeichnet. Aber wer ist der Schenkende? Die einen sagen, es
sei Gott. Andere sagen, es würde durch sexuelle Tätigkeiten verschenkt.
Ablehnen kann man dieses Spiel nicht.
„Nein, danke, behalt es“, gilt nicht. Es wird einem förmlich
aufgezwungen. Abbrechen gilt auch nicht.
Es beginnt, wenn man den ersten Schrei
tut. Zu Beginn ist man unfähig, den Haken des Spiels zu erkennen: Es
hat eine unbekannte Anzahl von Leveln.
Wie bei jedem Computerspiel sind die
ersten Level so leicht, dass man sich gar nicht drum kümmern muss.
Man erreicht automatisch die nächsten Level, andere spielen einem
das Spiel nach ihren Vorstellungen vor und das funktioniert ganz gut
bis zum Level „Pubertät“, der wievielte das sein wird, bleibt
von Beginn an unklar. Plötzlich hat man ihn erreicht und es wird
erwartet, dass man nun eigene Wege findet, die Level zu spielen und
weiterzukommen. Dabei sind diese nächsten Level sehr verwirrend, man
könnte gut Hilfe gebrauchen, in den meisten Fällen wird diese aber
verweigert. Man beginnt zu ahnen, dass es von nun an vorbei ist mit
der Sicherheit. Von nun an lauern an jeder Ecke Finten und Gefahren
von denen man keine Vorstellung hat, wie man sie bewältigen könnte,
das Spiel wird zum Glücksspiel.
Der Level 18 hat es dann wieder
gewaltig in sich. Von nun an ist man völlig auf sich alleine
gestellt. Man kriegt ein neues Update des Spiels, von dem alle
anderen behaupten, es sei ausschließlich für einen selbst, sie
wüssten nicht, wie dieses Update zu spielen sei, aber man hätte ja
bei den Vorgängerversionen genug gelernt, um nun alleine klar zu
kommen. Am besten suche man sich jetzt auch einen eigenen Tisch, um
die Füße drunter und den Computer draufzustellen, der Tisch darf
auch ruhig weit genug weg sein, dass man niemandem mit Fragen zur
Last fällt, der ohnehin keine Antwort weiß. Nur enttäuschen soll
man bitte keinen, man hätte schließlich sehr viel Geld und Zeit
investiert um einen bis auf diesen Level mitzuschleppen, das sollte
man dankbar anerkennen.
Nach einer Weile stellt man fest, dass
es Spieler gibt, die dieses Update schon besser kennen und bereit
sind Hilfestellung zu bieten, so lange man sich bemüht, die Hilfen
nicht zu oft in Anspruch zu nehmen oder Gegenleistungen anbieten kann.
Dabei muss man aber aufpassen, nicht an
Spieler zu geraten, die einen verarschen und in die Irre leiten, aus
der man dann alleine wieder rausfinden muss.
Die Level des neuen Updates sind nicht
ohne. Nur wenige erreicht man mit einem Gefühl der Leichtigkeit. Auf
den nächsten Leveln gaukelt einem das Spiel vor, unbesiegbar zu
sein. Es lockt mit Erfolgen, die in Form von Münzen ausgeschüttet
werden. Es beginnt süchtig zu machen nach Münzen, aber es fordert
immer mehr Einsatz von Zeit. Am Schicksal anderer Spieler erkennt man
die Folgen der Versuche, sich gegen die Spielregeln aufzulehnen. Sie
verloren die Münzen, erhielten dafür Existenzangst, einige landen
in Armut und Obdachlosigkeit. Viele sterben auf einem viel zu frühen
Level und das Spiel fragt: „Schau dir das an! Willst du das für
dich?“
Man lernt, dass Liebe nur gegen
Leistung zu haben ist und Vertrauen fast immer missbraucht wird.
Gesundheit ist unwichtig, Krankheit wird mit Münzen ausgeglichen.
Nur wenige Mitspieler erweisen sich als zuverlässig, noch weniger
bieten Hilfe in Form von Tipps, wenn man sie braucht, Spieler die
einem Münzen schenken, damit man weiterspielen kann, sind
Glücksache. Man staunt jedesmal, wenn man einen weiteren Level
erreicht hat. Ausruhen darf man nicht. Kaum hat man einen Level
erfolgreich gespielt und denkt „Geschafft!“ schmeißt einem das
Spiel schon das erste Problem des nächsten Levels vor die Füße.
Einen Knopf für „Pause“ hat das Spiel nicht. Auf manchen Leveln
ist auch Schlaf nicht erlaubt.
Manche Spieler brechen das Spiel ab und
gehen lieber freiwillig in den Tod, als weiterzuspielen. Diese werden
verachtet als nicht lebenswerte Versager oder Schmarotzer. Wer
versucht, die Lüge des Spiels aufzudecken, dem wirft man Ketzerei
und Verschwörung vor. Das Spiel ist keine Lüge! Das Spiel führt zu
immer währendem Reichtum und Glück, denn nur Reichtum ist Glück.
Aber der Level, auf dem das erreicht wird, wird niemals verraten.
Irgendwann muss man aber erkennen: Das
Spiel ist eine Täuschung und endet immer mit dem Tod des Spielers. Vorher verliert man immer mehr die Kontrolle über das eigene Spiel, weil man geistig und körperlich an dem Spiel zugrunde geht. Wieder entscheiden andere, was man zu essen bekommt und wie oft man gewaschen wird.
Für den einen kommt der letzte Level früher, für den anderen
später aber der letzte Level ist immer der Tod.
Ich erreichte heute Level 70. Wieviele hab ich wohl noch?